Dieses Buch befasst sich mit den Auswirkungen aphasischer Sprachstörungen auf den sprachlich-interaktiven Alltag im familiären Kontext. Aphasien sind Sprachstörungen, die durch Schädigungen sprachrelevanter Strukturen des Gehirns verursacht werden. Diese Schädigungen führen zu Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des kognitiven Subsystems Sprache; somit gefährdet die Aphasie als ‚technisches' Hindernis und als Stigma im Sinne Goffmans permanent die Partizipation der Betroffenen am Gespräch.

Die Daten stammen aus dem Korpus des von der deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes "Adaptationsstrategien in der familiären Kommunikation zwischen Aphasikern und ihren Partnerinnen", das von 2000 bis 2004 unter der Leitung von Peter Auer am Deutschen Seminar 1 der Universität Freiburg durchgeführt wurde. Im Fokus steht die Analyse sprachlich-interaktiver Verfahren der Adaptation, die die Betroffenen - die Gesprächsbeteiligten mit und ohne Aphasie - in ihren alltäglichen Gesprächen einsetzen. Insbesondere geht es um Praktiken der Organisation von Partizipation unter aphasischen Bedingungen, die darauf ausgerichtet sind, die Interaktionsgemeinschaft aufrecht zu erhalten - d.h. trotz Aphasie miteinander im Gespräch zu bleiben.

Partizipationsorganisation wird als eine interaktive Praxis der Problembearbeitung betrachtet, die die Betroffenen vor Ort und eingebettet in die laufenden sprachlichen Interaktionen entwickeln. Es werden zwei Aspekte von Partizipation aufgegriffen, die in der Forschung auf sehr unterschiedlichen Ebenen angesiedelt werden und bisher kaum untersucht wurden: Zum einen den Aspekt der (sozialen) Marginalisierung und Stigmatisierung der Aphasiker, der zu den psychosozialen Folgen der Aphasie gerechnet wird, und zum anderen eine partizipationsorganisatorische Besonderheit aphasischer Gespräche, das sog. kollaborative Modell der Adaptation an Aphasie (Milroy & Perkins 1992). Mit dieser Bezeichnung wird in der interaktional ausgerichteten Aphasieforschung das Phänomen benannt, dass die Beteiligten versuchen, die anfallenden sprachlichen Arbeiten derart zu reorganisieren, dass gemeinsam geleistet werden kann, was der aphasische Partner alleine nicht kann.

Da eine umfassende Theorie der Partizipation am Gespräch nicht zur Verfügung steht, wird auf der Grundlage der Arbeiten von Erving Goffman, Gene Lerner und Charles Goodwin ein Partizipationskonzept entworfen, das die Gesprächspartner hinsichtlich ihrer Positionen im Gesprächsensemble, zu ihren Äußerungen (im Sinne Goffmans) und hinsichtlich ihrer Beteiligung an der laufenden Aktivität (im Sinne Goodwins) spezifiziert. Dieser ‚Beschreibungsapparat' soll es ermöglichen, die kontinuierlichen Transformationen (Partizipationsmanagement als Prozess) systematisch zu rekonstruieren, die die Beteiligten an aphasischen Gesprächen vornehmen, um die Partizipation des aphasischen Gesprächspartners und den Fortgang der Interaktion zu ermöglichen. Den theoretischen Bezugsrahmen liefern Konzepte und Methoden aus verschiedenen interaktionsanalytischen Forschungsrichtungen, und zwar aus Goffmans Soziologie des Gesprächs, aus der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und aus der interaktionalen Linguistik.

Dr. Angelika Bauer: Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaften in Konstanz, Neurolinguistin / Klinische Linguistin (BKL) / Logopädin, Leiterin der DAA Schule für Logopäden in Freiburg im Br. Publikation: Bauer, A. & Auer, P. 2008 Aphasie im familiären Alltag. Stuttgart: Thieme.

Kontakt: angelika.bauer@daa-bw.de